Nach 11 ‚Atelier in Residence‘ mit 13 Kunstschaffenden in Thalwil in den Jahren 2011 bis 2017 endet das Projekt AiR Thalwil mit einem Abschlussbericht.
Als Beitrag dazu wurde ich eingeladen, ein Resümee aus meiner Sicht als eingeladener Künstler zu verfassen.

Eine Zusammenfassung findet sich auf der Rückseite der Broschüre:
Kunadok9_se (PDF, 1.5 MB) und der Hinweis zu meinem Beitrag AiR 8 da auf Seite 19 (oder ausführlich hier auf meiner Website).

(siehe dazu auch: Website Kultur Thalwil und Website Verein Ökopolis Thalwil)

Der vollständige, umfassende Textbeitrag exklusiv hier:

Es ist grotesk, dass wir Ausgaben im kulturellen Bereich zumeist „Subventionen“ nennen, während kein Mensch auf die Idee käme, die Ausgaben für ein Bahnhofsgebäude oder einen Spielplatz als Subventionen zu bezeichnen. Der Ausdruck lenkt uns in die falsche Richtung. Denn Kultur ist kein Luxus, den wir uns leisten oder auch streichen können, sondern der geistige Boden, der unsere eigentliche innere Überlebensfähigkeit sichert.

Richard von Weizsäcker, 11. September 1991

Mir als Gegenwartskünstler stellt sich permanent und drängend die Frage: Was mache ich? Und wozu? Wofür? Und allenfalls: Wohin?

Eine unbedarfte Antwort könnte sein: um Schönes zu schaffen!
Diese Antwort wäre jedoch falsch: Das Schöne ist das Werk von Designer_innen und Dekorateur_innen – in der Kunst ist es allenfalls eine Begleiterscheinung.
Steht die Schönheit als Ziel im Zentrum, ist das Resultat allenfalls Kunsthandwerk.

Dieser eingängig formulierte ungefestigte Standpunkt ist augenfällig, derart, dass sich die Gesellschaft mit der Kunstförderung schwer tut: Investition in die Kunst ist monetär betrachtet ein Hochrisikogeschäft – mit Lottospiel reich zu werden, ist wahrscheinlicher.

Trotzdem, eine Gemeinschaft mit Existenzanspruch kommt nicht darum herum, Kunstförderung zu betreiben. Aus dem einfachen Grund, weil dies das Leben an und für sich verlangt: aus schierer Neugier, in alle Richtungen Grenzen zu suchen und zu überschreiten. Um diese Aussage zu begründen, braucht uns nur die Evolution vor Augen geführt zu werden (womit der Text an dem Punkt angekommen ist, wo sich Kreationist_innen getrost daraus verabschieden dürfen). Grenzen zu finden, hier mitten im Schengen-Europa, in einer äusserst liberalen Gesellschaft, Jahrzehnte nach dem „everything goes“ der Postmoderne ist jedoch keinesfalls ein Leichtes.

Limitierungen lassen sich im gegenwärtigen Steinreich Schweiz bei den Ressourcen finden. Weil, wie wir bereits im Primarschulunterricht gelernt haben: Dieses Land bietet an natürlichen Rohstoffen vor allem Steine in all ihren Grössen und bis anhin: reichlich Wasser.
Dieser vordergründige Mangel wurde jedoch zum Vorteil. Dank der reichlich vorhandene Wasserkraft konnte früh die Industrialisierung angegangen werden. Auf diesem erschaffenen Vorsprung aufbauend, konnte aus einer eigentlichen Mangelwirtschaft eine Dienstleistungswirtschaft aufgebaut werden, zu einem Zeitpunkt, als andere Länder ihre Industrie mit fossilen Energien aufzubauen hatten.

Heute aber steht die Gesellschaft vor dem nächsten wirtschaftlichen Entwicklungssprung: es zeichnet sich ab, dass in naher Zukunft, Stichwort Digitalisierung der Arbeitsplätze sämtliche trivialen Arbeitssektoren durch Computer resp. Roboter ersetzt werden. In der Bank- und Versicherungsbranche wird mit einem Arbeitsplatzverlust von nahezu 40 % gerechnet (in der Vermögensverwaltung z.B. sogar 100 %), in der Chemie sind es 89.8 %, Finanz-, Rechnungswesen, Buchhaltung 70 %, Techniker_innen 55.1 %.

Viel schwächer ist der Rückgang in Branchen, welche Vorstellungs- respektive Einfühlungsvermögen benötigen. Dies sind vor allem die Branchen in den sozialen Bereichen (Pflege, Lehre, (Personen-)Sicherheit und endlich: die sogenannte ‚Kreativbranche’: Werbung, Kunst, Kulinarik. Hier liegt das Substituierbarkeitspotenzial bei wenigen Prozenten (zwischen 0 % bis 24 %).

Nun kann sich das Gemeinwesen, sprich also auch Gemeinden, auf den Standpunkt stellen, dass diese Entwicklung sowieso kommt, oder die Zeichen gar ignorieren. Oder aber aktiv werden, und damit beginnen, Strukturen zu schaffen, welche auf kommende Herausforderungen vorbereiten. Dazu ist eigentlich nur die Frage zu klären, ob man lieber Spielball oder Spieler_in sein will?
Weil: was bedeutet es, wenn weniger Personen ‚Arbeit’ haben? Für diese persönlich gegebenenfalls weniger Einkommen – allgemein aber: viele Individuen mit sehr viel Freizeit.

Wie bereits heute sichtbar, wird diese Freizeit nicht beim andächtigen Gebet in der Kirche verbracht und auch die Anziehungskraft von Vereinen nimmt immer mehr ab. Diese traditionellen Kondensationskerne der Gesellschaft sind offensichtlich obsolet geworden – die Frage, was dafür nachrücken könnte, bietet viel Humus zur Spekulation.

Thalwil hat sich nun mehrere Jahre an zentraler Lage ein Artist in Residence-Atelier, getragen von der Arbeitsgruppe Kunst und Nachhaltigkeit (KUNA), geleistet.
Dieses bot Künstler_innen die bedingungslose Möglichkeit, über einen längeren Zeitraum im Austausch mit der Umgebung, sprich der Örtlichkeit wie der Bevölkerung, eigene Fragen zu stellen und Lösungsansätze zu formulieren.

Bereits der vordergründige Ansatz zu diesem Angebot einer ‚verorteten Kunstförderung’ darf in heutiger Zeit durchaus als nachhaltig bezeichnet werden. In der Kunstszene ist es sonst eher Brauch, kurzfristige Projekte aufzubauen, und für diese klingende Namen einzuladen. Welches Städtchen hat heute nicht seine eigene Kunstbiennale? Dazu werden Künstler_innen von nah aber eher fern eingeladen, um schnell, einem Billigen Jakob auf dem Jahrmarkt nicht unähnlich, ein für sie typisches Werk zu platzieren, welches dann von dem geneigten Publikum wiedererkannt und geschätzt werden darf. Dieses Vorgehen ist getestet, berechen- wie bezahlbar.

Künstler_innen aber zu verpflichten – sich in der Dorfmitte eine Weile festzusetzen – hat Potential. Unausweichlich werden sie sich mit dem zur Verfügung gestellten Ort auseinandersetzen müssen. Die Spannweite der Arbeitsergebnisse kann von Verweigerung über Partizipation bis zur Assimilation reichen… was bereits die Hinterlassenschaften der bisherigen Resident_innen in Thalwil aufzeigen.

Diese Form der kommunalen Kunstförderung ist zukunftsträchtig. Für einen günstigen Förderbeitrag erhält die Gemeinde statt einem weiteren Dekorationsgegenstand für die Strandpromenade oder das Kunstdepot einen guten Erlös: Unmittelbar und spontan einen Ort des Austauschs, aber auch während den öffentlichen Terminen der Atelierbesuche und langfristig, hoffentlich Ideen, welche in den Köpfen der Einwohnerschaft weiterköcheln.